Einer der häufigsten Vorwürfe von MitarbeiterInnen sind unfaire Entscheidungen. Manchmal sind sie begründet, weil Führungskräfte ihre Lieblinge bevorzugen. Manchmal sind die Vorwürfe nicht begründet, aber es sieht aus der Sicht der MitarbeiterInnen trotzdem unfair aus, weil sie nicht alle Umstände der Entscheidung kennen. Die meisten Führungskräfte bemühen sich redlich um möglichst gerechte Lösungen und werden dennoch von ihren MitarbeiterInnen konfrontiert.
Was sollten Sie nun beim Entscheidungen treffen berücksichten?
In vielen Organisationen gibt es jetzt während der Coronakrise mehr zu entscheiden als zu normalen Zeiten: Wer geht in Kurzarbeit? Wer macht Homeoffice? Wer darf oder muss wieder zurück an den Arbeitsplatz? Was passiert, wenn Vorschriften nicht eingehalten werden? Welche Sanktionen werden verhängt? Wer bekommt welche Ausnahmen von den Regeln? Es gibt bei solchen Entscheidungen zwei besonders schwierige Situationen:
- Keine Anhaltspunkte
Alle MitarbeiterInnen bringen dieselben Voraussetzungen mit. Zum Beispiel sind alle ungefähr gleich lang im Unternehmen und leisten ähnlich viel. Nach welchen Kriterien soll ich daher entscheiden, wer in Kurzarbeit geht und wer vollbeschäftigt bleibt?
- Interessenskonflikte
Es gäbe zwar Unterschiede zwischen den Mitarbeiterinnen, die eine Entscheidung leicht machen, aber die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen sind genau gegenteilig. Der Vater von drei Kindern könnte sehr gut seine Arbeit von zu Hause erledigen, möchte aber lieber jeden Tag an seinen Arbeitsplatz kommen, weil er sich daheim nicht konzentrieren kann. Die junge Spezialistin wird in der Produktion dringend gebraucht, möchte aber so lange wie möglich im Homeoffice bleiben, weil sie jeden Tag sehr weit pendelt.
Entscheidungen dürfen ungerecht sein, wenn sie argumentierbar sind
Eine Führungskraft hat mir letzte Woche folgende Situation geschildert: „Ich habe den Auftrag bekommen zu entscheiden, welche MitarbeiterInnen eines Großraumbüros zuerst wieder zurück ins Büro kommen sollen und welche noch im Homeoffice bleiben sollen. Ich spüre seit Tagen die Last dieser Entscheidung auf meinen Schultern, weil mir keine Lösung einfällt, die allen Bedürfnissen gerecht wird.“
Der Schlüssel zu solchen Entscheidungen liegt darin, dass Sie klare Argumente anführen können. Entscheidungen dürfen auch ungerecht sein, wenn es andere Gründe gibt, die diese Entscheidung rechtfertigen. Es gibt im Moment viele mögliche Gründe für Entscheidungen: wirtschaftliches Überleben, Schutz vor Ansteckung von Personen, Schutz des Ausfalls von größeren Gruppen, Einhaltung von (neuen) rechtlichen Vorschriften. Ich empfehle Ihnen daher zunächst alle Rahmenbedingungen der Entscheidung gut zu prüfen:
- Rechtliche Rahmenbedingungen – Gesetze, Verordnungen, interne Regeln, Anweisungen
- Die Auslegung dieser Regeln innerhalb der Organisation; insbesondere durch die Führungskräfte
- Wirtschaftliche Rahmenbedingungen – die Kosten unterschiedlicher Lösungen
- Anforderungen des Betriebes – Wer wird wo am meisten gebraucht?
- Bedürfnisse der MitarbeiterInnen
Gute Argumente finden Sie nur, wenn Sie nahe herangehen
Manche Führungskräfte scheuen sich davor, sich alle Aspekte des Problems genau anzusehen, weil sie befürchten, dass es noch schwieriger wird zu entscheiden. Meistens ist es aber anders: Je näher man an das Problem herantritt, desto stärker taucht eine mögliche Lösung auf. Es kann sein, dass es eine Lösung ist, die nicht alle sofort als gerecht erleben, aber dafür haben Sie jetzt alle Kriterien gesammelt, um die Entscheidung gut zu begründen. Es ist gerade in der jetzigen Situation legitim zu sagen: „Ich weiß, dass es manche nicht als fair empfinden, dass ich diese Person ausgewählt habe und nicht jene, aber es war notwendig, schnell eine Lösung zu finden, um den Betrieb aufrecht zu erhalten.“ Manchmal werden Sie zunächst noch den Unmut spüren. Diese Stimmung wird aber dann bald dem Verständnis weichen.